Eltern-Kind-Beziehungen sind die prägendsten im Leben und reichen über den Tod hinaus. Und es sind die emotionalsten und mitunter schwierigsten, zumal spätestens beim Erwachsenwerden der Kinder das Loslassen für beide Seiten eine große Herausforderung darstellt. Die Töchter und Söhne sind nun aufgerufen, sich ihr eigenes Leben aufzubauen. Die Eltern müssen sich und den Alltag ohne Kinder, die so lange im Mittelpunkt standen, neu organisieren. Das ist heute umso schwieriger, da die Entwicklungswege individuell verlaufen und es kaum festgelegte Bahnen gibt, so wie es in früheren Gesellschaftsformen der Fall war. Eltern und Kinder sollen sich nach der Ablösung mehr und mehr auf Augenhöhe begegnen, wenngleich Vater immer Vater bleibt und Mutter immer Mutter. Insgesamt sind so die Eltern-Kind-Rollen und die Hierarchien in einer Familie in der Regel über lange Jahre eindeutig verteilt. Doch dann, mehr oder weniger plötzlich, ändert sich wieder alles: Die Eltern sind alt und werden pflegebedürftig. Das stellt beide Seiten, Eltern wie erwachsene Kinder, vor ganz neue Herausforderungen und Rollenerwartungen, die die Pflege beeinflussen.
Alternde Gesellschaft mit neuen Verantwortungen
Deutschland gehört im Vergleich zu anderen Ländern zu den „ältesten“ Gesellschaften. So gab es hier zum Ende des Jahres 2020 mehr als 18 Millionen Personen, die 65 Jahre oder älter waren, mehr als 2,5 Mio. Menschen hatten dabei 85 Jahre erreicht oder überschritten. Dieses relativ junge Phänomen der alternden Gesellschaft mit einer großen, wachsenden Zahl an über 80jährigen stellt die Gesellschaft und jeden Einzelnen vor ganz neue Herausforderungen. Wie geht man mit den alten Menschen würdevoll in der Pflege um? Tatsächlich sieht es im Moment so aus, als ob es eben die „Kinder“ sind, die diese große Verantwortung tragen.

Strategien für pflegende “Kinder”
Wie die Pflegestatistik belegt, werden rund vier von fünf alten Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, meist mit Unterstützung eines entsprechenden Dienstes. Plötzlich sind Vater und Mutter, auf die man sich im Idealfall sein ganzes bisheriges Leben verlassen konnte, selbst hilfebedürftig. Für die meisten “Kinder” beginnt nun eine Zeit großer Ambivalenzkonflikte. Da ist der Beruf mit seinen meist doch sehr festgelegten Herausforderungen und Arbeitszeiten, da ist die eigene Familie mit ihren Bedürfnissen. Und man selbst? Es besteht eine große Gefahr der permanenten körperlichen und seelischen Überforderung und des negativen Stresses. Nicht selten erwächst bei den pflegenden Kindern das Gefühl, es eigentlich niemanden mehr recht machen zu können, die Last der vielen Verantwortungen, die man ja auch von Herzen gerne tragen möchte, erdrückt. Noch schwieriger wird es dann in bereits negativ vorbelasteten Eltern-Kind-Beziehungen. Ein paar Strategien können helfen, die neue Situation besser zu bewältigen.
Netzwerk aufbauen
Wenn man Kinder hat, dann ist das heute selbstverständlich: Erziehende wissen, wie wichtig ein gut funktionierendes Netzwerk ist. Oft scheint es, also ob sich das bei der Pflege der Eltern noch nicht so eingebürgert hat. Der Pflegende braucht einfach jemanden “im Boot”. Leicht ist es sicherlich nicht und oft ist es mit Kosten verbunden, dennoch solle man sich nicht scheuen, zu fragen. Denn es gibt mehr Betroffene, als man denkt. Auch hat die Gesellschaft hier deutlichen Nachholbedarf, denn nach wie vor ist die Pflege der Alten gesellschaftlich ein “Sorgenkind”. Mittlerweile gibt es aber z. B. Arbeitgeber, die mit flexiblen Modellen auch die Pflege der Eltern unterstützen.
Von Perfektion in der Pflege verabschieden
In diesem Bereich ist das Streben nach Perfektion fehl am Platz. Oft haben Pflegende das Gefühl, nicht genug zu tun, da die Dinge nicht besser werden oder sich zum Guten entwickeln. Im Gegenteil, meist geht die Spirale abwärts, es wird schwieriger statt besser. Wichtig ist, sich damit abzufinden, dass hier nicht Leistung der Maßstab ist, sondern die Tatsache, etwas nach bestem Wissen und Gewissen zu tun und dass Liebe und Empathie bei der Pflege regieren.
Psychologische Begleitung neben der Pflege
Eine solche Begleitung kann helfen, mit den Emotionen und Ambivalenzkonflikten besser fertig zu werden. Eine hilfreiche Praxis ist das Einüben von Achtsamkeit. Sie hilft auch dabei, sich nicht in der Vergangenheit, die bei solchen Pflegesituationen immer hochspült, oder in Zukunftsängsten zu verlieren. Sie unterstützt insgesamt bei einer ausgeglicheneren Lebensbewältigung im Hier und Jetzt, so anspruchsvoll dieses auch sein mag.