Was schulde ich meinen Eltern? Trage ich die Verantwortung der Pflege? Bin ich ein schlechter Sohn oder eine schlechte Tochter, wenn ich meine hilfsbedürftig gewordenen Eltern nicht selbst pflege? Diese Fragen stellen sich die bereits erwachsenen Kinder vieler Mütter und Väter, die nicht ins Altersheim möchten. Das ist nachzuvollziehen. Denn es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass die Kinder ihre Eltern im Alter pflegen. Obwohl es sich um die eigene Familie handelt, scheint der Familienbegriff nicht mehr das zu sein, was er mal war. Die Familie ist für viele Menschen ein Schuldverhältnis.
Wer kann und möchte die Verantwortung der Pflege übernehmen?
Es kommen Fragen der Moral auf, die sich nicht leicht beantworten lassen. Da es in Deutschland keine gesetzliche Pflicht gibt, die eigenen Eltern bei Pflegebedürftigkeit zu pflegen, stehen viele Töchter und Söhne vor einem moralischen Problem. Manche Kinder würden sich gerne um ihre Eltern kümmern, können es aber nicht, weil die finanziellen Mittel nicht ausreichen. – Andere Kinder wiederum wollen sich nicht um die Mutter und den Vater kümmern, obwohl sie es durchaus könnten. Es gibt Familienverhältnisse, die funktionieren, und familiäre Beziehungen, die zerrüttet sind. Im ersten Fall ist das Funktionieren einer Familie keine Garantie für die elterliche Fürsorge im Alter. Im ersten Fall mag sich die Frage nach der elterlichen Versorgung erst gar nicht stellen.
Es sollte nicht um eine Schuld gehen, sondern vielmehr um etwas, dass aus Liebe und Zuneigung geschieht. Ein Wort, auf das die wenigsten Menschen in diesem Zusammenhang kommen. Ein Wort, das heute im Zusammenhang mit der Pflege zum Teil einem untergehenden Stern gleicht.
Wer bezahlt die Pflege und den Ausfall der Arbeitszeit?
Es gibt Argumente, die eine Pflege der Eltern durch ihre erwachsenen Kinder nicht möglich machen.
Nicht jeder Erwachsene hat die finanziellen Mittel, die eigenen Eltern zu unterstützen. Auch steht in den meisten Fällen die Berufstätigkeit im Wege. Wer von morgens bis abends arbeiten muss, kann sich nur schlecht auch noch um die Mutter oder den Vater kümmern. Und wenn es mithilfe staatlicher Unterstützung geschieht, ist die finanzielle Hilfe oft zu gering, um davon auch die womöglich vorhandene eigene Familie zu ernähren. Eine Familienpflegezeit mit Genehmigung des Arbeitgebers ist zudem auf eine bestimmte Zeit beschränkt. Neben diesen finanziellen Aspekten besteht auch die Frage, wieviel Zeit neben der Pflege der Eltern noch für die eigene Familie bleibt. Um sich zwischendurch eine Auszeit nehmen zu können, besteht hier die Möglichkeit der Beantragung der Verhinderungspflege.
Oftmals gibt es ein geographisches Problem. Die schon erwachsenen Kinder sind längst ausgezogen und wohnen in einer ganz anderen Stadt. Hier kann es ein Geflecht von Umständen geben, die von Familie zu Familie variieren. Es stellt sich daher weniger die Frage nach einem Muss. Ein Muss gibt es nicht. Es stellt sich die Frage, ob eine Fürsorge nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch überhaupt in Frage kommt, also umsetzbar ist.
Welche Hilfestellungen gibt es für pflegende Angehörige?
Zumindest das in Betracht ziehen von realen Maßnahmen, die eine Pflege der Eltern möglich machen, sollte von Töchtern und Söhnen gründlich durchdacht werden. In vielerlei Hinsicht bietet das Pflegesystem Hilfestellungen im Bereich der Pflegestufen. Auch kann es Kombilösungen als Alternative zu einem Altersheim geben. Zu denken ist an eine ambulante Pflege, die einen bestimmten Zeitrahmen des Tages abdeckt, und es den Eltern dennoch ermöglicht bei ihrer Familie zu bleiben bzw. in das Familienleben miteingebunden zu werden, oder an die Beschäftigung einer „24-Stunden”-Pflegekraft. Um sich damit zu befassen, ist es wichtig, sich über die Bedeutung der eigenen Familie bewusst zu werden. Jede Familie ist anders.
Undenkbar wäre es, in Deutschland eine Bürgerbewertung nach dem Sozialkreditsystem wie in China einzuführen. Dort gibt es Punktabzüge, wenn sich die Kinder z. B. nicht oder nur halbherzig um ihre Eltern kümmern. Ein großer Teil der chinesischen Bevölkerung sieht das nicht als einen Eingriff in die eigene Privatsphäre, weil in dem System ein Werterhalt gesellschaftlicher Verantwortlichkeit gesehen wird. Das politische System erzieht und überwacht hier den Bürger. Das betrifft auch die Pflege der Eltern. In einem demokratischen System wäre das nicht möglich und auch nicht wünschenswert. – Weil der Staat in Deutschland nicht in dieser Form eingreift, gilt es die Bedeutung des Familienbegriffs von innen heraus zu stärken und durch gezielte politische Maßnahmen von außen zu unterstützen, womit ein Verantwortungsbewusstsein entstehen könnte, das auf Liebe und Überzeugung beruht, und das auch praktisch realisierbar ist.